Impuls zum 20. Juli 2025
Von Susanne Warmuth (Aschaffenburg) – Geistliche Beirätin im DV Würzburg
Arbeiten und Ausruhen
Vor einigen Jahren erhielt ich von einer Kollegin zu Beginn meines Urlaubs einen Brief mit guten Wünschen. Sie zitierte darin den folgenden Satz:
Ich halte es für einen der wichtigsten Leitsätze des Lebens,
arbeiten zu können, ohne denen, die nichts tun, gram zu sein,
und nichts zu tun, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil andere arbeiten.
(Ernst Penzoldt)
Die Kollegin kannte mich wohl gut. Ich fühlte mich ertappt. Denn es kam manchmal vor, dass ich wieder mal zu einem Dienst an einem ungeliebten Brückentag überredet und eingeteilt wurde. Es wurmte mich dann, dass manche KollegInnen es immer schafften, an solchen Tagen freizunehmen. Hatte ich dagegen einen geplanten und wohlverdienten Urlaub und wusste, dass die Personaldecke im Team gerade mal wieder dünn war, dann gelang es mir nur schwer, an den freien Tagen ohne schlechtes Gewissen abzuschalten. Der Leitsatz von Herrn Penzoldt hatte bei mir ins Schwarze getroffen.
Evangelium nach Johannes 10, 38 – 42
In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Jeder von uns hat Anteile von Maria und Marta
Es gab Zeiten, da habe ich mich über den Inhalt des heutigen Evangeliums sehr geärgert. Jesus kommt in das Haus der beiden Schwestern Maria und Marta. Marta tut alles in Haus und Küche, damit der Besuch reibungslos verlaufen kann. Maria aber setzt sich zu Jesus und tut nichts, einfach nichts, unglaublich. Allein das ist schon schwer nachzuvollziehen. Doch soweit nicht genug: Jesus lobt Maria für ihr Nichtstun. Kein Wort hat er übrig für Marta, die doch die Arbeit allein tut, die sich auch für ihn, den Gast, anstrengt und ihr Bestes geben will.
Heute sage ich: Mir gefällt dieses Evangelium. Vielleicht gerade deshalb, weil die Aussage zunächst quer liegt zu unserem normalen Empfinden. Doch ich denke, dass es gar nicht darum geht, eine Lebens- und Arbeitsregel für Frauen aufzustellen. Es geht auch nicht um zwei unterschiedliche Frauen.
Die Frage ist, wie jede/r von uns, egal ob Mann oder Frau, das innere Gleichgewicht findet zwischen Arbeit und Ruhe, zwischen Betriebsamkeit und Innehalten. In jedem Menschen gibt es die Bedürfnisse von Maria und Marta. Auf der einen Seite der Wunsch, etwas zu leisten, nützlich zu sein, vielleicht sogar etwas verändern zu können, auf der anderen Seite der Wunsch abzuschalten, ruhig zu werden, nach innen zu hören, Kräfte zu sammeln.
Einsatz und Leistung, Können und Aktivsein sind in unserer Gesellschaft hoch angesehen und werden belohnt. Dauernd werden wir dazu motiviert. Sogar in der Freizeit müssen wir Leistung bringen. Die Aussage des Evangeliums dagegen lautet: pass auf, es gibt noch eine ganz andere Seite in dir, die auch zu ihrem Recht kommen muss. Du musst auch mal zur Ruhe kommen, zu Dir selbst kommen. Du brauchst die Stille und den Raum, um dir zu begegnen und Gott zu begegnen. Denn wer immer nur aktiv ist und etwas leisten will, der ist irgendwann leer, ausgebrannt, müde. Dieser Mensch läuft Gefahr, seine Mitte und sich selbst zu verlieren, weil er/sie abgeschnitten ist von den inneren Quellen des eigenen Lebens.
Wir Menschen dürfen beide Bedürfnisse in uns leben lassen, das Bedürfnis von Aktion und das Bedürfnis nach Stille. Das Geheimnis ist es, eine gute Balance, ein gutes Gleichgewicht zwischen beiden zu finden. Was gerade für uns wichtig ist, das können wir nur selbst spüren. Es hängt auch zusammen mit unserem Temperament und mit der jeweiligen Lebensphase, in der wir uns befinden.
Es gibt Zeiten im Leben, da bleibt einem Menschen keine Wahl. Ich denke an kranke und alte Menschen, die zur Ruhe verdammt sind, ohne es zu wollen. Schnell kommt sich jemand da nutzlos vor in unsrer Welt der Arbeit und der Leistung.
Auch vielen Flüchtlingen und Asylsuchenden geht es so. Sie möchten gern arbeiten und anpacken, möchten etwas leisten für die Gesellschaft, in der sie leben, aber sie dürfen nicht. Dass das auf Dauer nicht gesund sein kann, das erleben wir jeden Tag. Wie gut wäre es, wenn die Neu-ins-Land-Gekommenen teilhaben und aktiv mitwirken könnten an der Gestaltung unserer Gesellschaft.
Es gibt aber auch ein Zuviel an Verantwortung und Engagement. Menschen, die sozial engagiert sind, auch in der Friedensarbeit, haben oft Mühe, sich abzugrenzen und an sich zu denken. Gerade in unserer Zeit, die aus dem Dauer-Krisenmodus nicht herauskommt, kann es schwer sein, mit gutem Gewissen Nein zu sagen zur nächsten Aufgabe und stattdessen „nur“ für sich selbst etwas zu tun.
Die beiden Pole – Arbeit und Leistung auf der einen Seite, Stille und Besinnung auf der anderen Seite – sie sollten zum Leben eines jeden Menschen gehören.
Die beiden Pole - Kampf und Kontemplation, aktives Handeln und Innehalten, politisches Wirken und Mystik - wir finden sie auch in der Geschichte der Kirche wieder, nicht immer spannungsfrei. Ora et labora, bete und arbeite, der Leitspruch der Benediktiner benennt die zwei Seiten der einen Medaille.
Neulich wurde ich gefragt, welche Menschen mich in meinem Leben beeindruckt haben. Mir sind einige eingefallen, sehr unterschiedliche Menschen, aber sie haben etwas gemeinsam. Es sind Menschen, die eine besondere Ausstrahlung haben, und die dadurch für mich glaubwürdig sind. Es sind Menschen, die sich mit voller Kraft einsetzen für ihre Mitmenschen und für das Reich Gottes, die sich aber auch rechtzeitig zum Innehalten zurückziehen können. Ihr Tun ist mehr als nur blinder Aktionismus. Sie sind auf der Suche
nach ihrer Mitte, nach einem erfüllten Leben, nach Gott.
Eine Geschichte erzählt es in Bildern …
Ein Mann hatte ein Ruderboot und wollte damit einen großen, gefährlichen See überqueren. Ich nehme nur das eine Ruder, sagte er sich und konzentriere meine ganze Kraft auf das eine Ruder, dann komme ich schneller vorwärts. Er nahm also nur ein Ruder und ruderte damit auf der rechten Seite des Bootes. Das Boot begann, sich im Kreis zu drehen. Er ruderte noch stärker, das Boot drehte sich nur noch schneller im Kreis. Da versuchte er es mit dem Ruder auf der anderen Seite, wieder drehte sich das Boot im Kreis, diesmal anders herum. – Da nahm der Mann beide Ruder, und siehe, er kam vorwärts. Manchmal, je nach Wind und Wetter, brauchte er mehr das eine, dann das andere Ruder. Wenn er etwas vom geraden Kurs abgekommen war, gebrauchte er nur ein Ruder zum Korrigieren. Niemals aber wurde eines der beiden Ruder überflüssig. Und am Ende gelangte der Mann gut auf die andere Seite des großen Sees.